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Holger J. Haberbosch
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Freigestellte Einkünfte und der treaty override des §50d EStG ( hier Einkünfte eines Piloten einer ausländischen Fluggesellschaft)

Werden Einkünfte nach einem DBA freigestellt und der Steuerpflichtige weist nach, dass der andere Staat auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat oder die Steuern bezahlt wurden, so kann das deutsche Besteuerungsrecht nicht nach §50d Abs. IX EStG wiederaufleben, weil Absatz IIX eine speziellere Regelung darstellt. Insofern kommt es also nicht darauf an, ob die Besteuerung im anderen Staat nur deswegen nicht erfolgt, weil der Steuerpflichtige dort keinen Wohnsitz hat.

BFH, Urteil vom 11.01.2012 – I R 27/11



Vorinstanz: FG Bremen vom 10. 2. 2011 1 K 20/10 (3)

§§50d Abs. 8 Satz 1; § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3; DBA-Irland Art. XII Abs. 3, Art. XXII Abs. 2

 

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte seinen Wohnsitz im Streitjahr 2007 zunächst in England; im März jenes Jahres verzog er in die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland).

 

Er erzielte vom April bis Dezember des Streitjahres als Pilot einer Fluggesellschaft mit Sitz in Irland einen (Brutto-)Arbeitslohn von … €. Die von dem Arbeitgeber auf diesen Betrag einbehaltenen und an die zuständige irische Finanzbehörde abgeführten Steuern wurden in voller Höhe auf Antrag des Klägers an ihn erstattet.

 

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) unterwarf den Arbeitslohn der deutschen Besteuerung. Die Einkünfte seien wegen § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) – EStG 2002/2007 – nicht gemäß Art. XII Abs. 3 i.V.m. Art. XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer vom 17. Oktober 1962 (BGBl II 1964, 267, BStBl I 1964, 321) –DBA-Irland– von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in Deutschland auszunehmen.

 

Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Bremen vom 10. Februar 2011 1 K 20/10 (3) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 988 abgedruckt.

 

Seine Revision stützt der Kläger auf Verletzung materiellen und formellen Rechts. Er beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid dahin abzuändern, dass die betreffenden Einkünfte von der deutschen Besteuerung freigestellt und lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden.

 

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

II.

 

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweitigen Steuerfestsetzung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ist im Ergebnis entgegen der Auffassung der Vorinstanz für die im Streitfall zu beurteilende Konstellation nicht anwendbar; die Regelung wird durch die insoweit vorrangige Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG 2002 i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) – EStG 2002/2004 – verdrängt.

 

1. Der Kläger hatte seit April des Streitjahres seinen Wohnsitz in Deutschland. Er unterfällt deswegen gemäß § 1 Abs. 1 EStG 2002 hier mit seinem Welteinkommen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. Dieser Pflicht ist auch der Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002) unterworfen, den er als Flugzeugführer für die irische Fluggesellschaft im Zeitraum von April bis Dezember des Streitjahres vereinnahmt hat.

 

2. Das Besteuerungsrecht für diesen Arbeitslohn ist in Deutschland allerdings nach Art. XII Abs. 3 i.V.m. Art. XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Irland von der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer auszunehmen, weil es sich hierbei um Einkünfte aus Quellen innerhalb Irlands handelt, die in Übereinstimmung mit dem Abkommen in Irland besteuert werden können: Dass es sich um Einkünfte aus Quellen innerhalb Irlands handelt, ergibt sich aus Art. XXII Abs. 3 DBA-Irland; Dienstleistungen, die eine natürliche Person ganz oder überwiegend an Bord von Luftfahrzeugen erbringt, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person betreibt, gelten danach als in diesem Vertragsstaat erbracht. Und die Vergütungen für solche Dienstleistungen können nach Art. XII Abs. 3 DBA-Irland in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet, im Streitfall also in Irland. In Deutschland verbleibt nach Art. XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Irland lediglich die Möglichkeit, die Einkünfte gemäß § 32b EStG 2002 dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen.

 

3. Jedoch wird die Freistellung jener Einkünfte nach Maßgabe des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ungeachtet des Abkommens nicht gewährt, wenn die Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht aufgrund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist. Mit dieser Formulierung will das Gesetz erreichen, dass das Besteuerungsrecht an Deutschland zurückfällt, falls der andere Vertragsstaat als Quellenstaat von dem ihm abkommensrechtlich zugestandenen Besteuerungsrecht an bestimmten Einkünften im Rahmen seiner beschränkten Steuerpflicht rechtlich keinen Gebrauch macht.

 

Eine derartige Situation ist im Streitfall nach den tatrichterlichen und den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG zu der irischen Rechtslage gegeben: Irland gebührt nach Art. XII Abs. 3 DBA-Irland das Besteuerungsrecht für die in Rede stehenden Vergütungen des Klägers. Irland verzichtet nach seinem Steuerrecht aber auf die Einkommensbesteuerung. Zwar ist der leistende Arbeitgeber – hier die Fluggesellschaft – verpflichtet, die auf den Arbeitslohn anfallende Steuer als Quellensteuer einzubehalten und an die Finanzbehörden abzuführen. Dem beschränkt Steuerpflichtigen steht indes ein Erstattungsrecht zu. Von diesem Recht hat im Streitfall auch der Kläger Gebrauch gemacht. Dass die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs antragsgebunden ist, muss an der Regelungslage ebenso wenig ändern wie der Umstand, dass die Quellensteuerabzugspflicht temporär oder – bei unterbleibendem Erstattungsantrag – final eine doppelte Besteuerung eines und desselben Sachverhalts in Irland und in Deutschland zur Folge haben kann. Es verbleibt ungeachtet dessen und ungeachtet des notwendigen Erstattungsantrags dabei, dass die Einkünfte nach materiellem Recht in Irland abstrakt nicht beschränkt steuerpflichtig sind und der dort einbehaltenen Quellensteuer (Lohnsteuer) sonach auch keine abgeltende Wirkung zukommt. Der Tatbestand des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ist damit als solcher erfüllt.

 

4. Die Anwendbarkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 wird indessen ihrerseits durch Abs. 8 der Vorschrift ausgeschlossen. Diese Vorschrift ordnet in einer mit Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 vergleichbaren Weise den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland unbeschadet einer völkerrechtlich vereinbarten Freistellung von Einkünften an, dies aber – erstens – nur für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit und – zweitens –, soweit der Steuerpflichtige nicht nachweist, dass der andere Vertragsstaat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Im Streitfall steht nach den beschriebenen tatrichterlichen Feststellungen fest, dass Irland die in Rede stehenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Flugpersonals nicht in den Katalog beschränkt steuerpflichtiger Einkünfte aufgenommen und insofern auf den ihm eingeräumten Besteuerungszugriff nach seinem innerstaatlichen Recht verzichtet hat; der (vorübergehende) Lohnsteuereinbehalt widerspricht dem (auch hier) nicht. Das erhellt zugleich, dass der Kläger den erforderlichen Nachweis über den irischen Besteuerungsverzicht erbracht hat: Was ohnehin feststeht, muss nicht gesondert nachgewiesen werden.

 

Es verbleibt deswegen bei der Einkommensfreistellung. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ändert daran unilateral nichts. Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen (auch) der letzteren Vorschrift erfüllt sind, ist unbeachtlich. Denn § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2002/2007 ordnet ausdrücklich an, dass (u.a.) „Abs. 8 … unberührt (bleibt)“. Das Gesetz akzeptiert insofern mit § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 den – einseitigen – Besteuerungsverzicht des anderen Staates (zu den Verzichtsmotiven s. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, MA Art. 15 Rz 181) als Ausübung der zwischenstaatlich vereinbarten Besteuerungszuordnung. Es ist nichts (auch nicht aus der amtlichen Gesetzesbegründung, vgl. BTDrucks 16/2712, S. 61 f.) dafür ersichtlich, dass diese Akzeptanz durch Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 im Verhältnis zu der Regelung in Abs. 8 der Vorschrift für die Situation der (nicht im Ausland erfassten) beschränkten Steuerpflicht wieder zurückgenommen werden soll. Vielmehr hat umgekehrt § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 als die speziellere Vorschrift sowohl inhaltlich als auch in seiner gesetzessystematischen Stellung gegenüber Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Vorrang und steht demzufolge seinerseits auch nicht unter einem entsprechenden, gegenläufigen Anwendungsvorbehalt zugunsten von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007. Bestätigt wird das dadurch, dass der Vorbehalt in Abs. 9 Satz 3 zum „Unberührtbleiben“ von § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 sich auf beide dort rückfallauslösenden Tatbestandsalternativen – nicht nachgewiesener Besteuerungsverzicht einerseits oder nicht nachgewiesene Steuerzahlung andererseits – erstreckt und damit allgemein und unbedingt wirkt, anders als insoweit der nur eingeschränkte Vorrang einschlägiger DBA-Rückfallklauseln, der in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2002/2007 zwar ebenfalls angeordnet wird, das aber nur für den Fall, dass die jeweilige DBA-Rückfallklausel die Freistellung von Einkünften in einem „weitergehenden Umfang“ (als § 50d Abs. 9 EStG 2002/2007) einschränkt (vgl. demgegenüber allerdings die Denkschriften zu dem neu verhandelten DBA-Großbritannien sowie dem ebenfalls neu verhandelten DBA-Irland, jeweils vom 30. März 2011, BTDrucks 17/2254, S. 38, und 17/6258, S. 36, wo auch insoweit ein Spezialitätenvorrang gegenüber Abs. 9 angenommen wird). § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007, der allein auf das Fehlen einer spezifischen beschränkten Steuerpflicht in dem anderen Staat abhebt, läuft damit für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Ergebnis weitgehend leer. Ein Anwendungsbereich bleibt – ohne dass darüber abschließend entschieden werden müsste – allenfalls für jenen (hier nicht einschlägigen) Fall, in welchem der Besteuerungsverzicht des anderen Staates nur einen Teil der betreffenden Einkünfte erfasst. Denn § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 schränkt den Besteuerungsrückfall entsprechend ein („soweit“), während § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 die Rechtsfolge des Besteuerungsrückfalls davon abweichend mit dem auslösenden Verzicht konditional verknüpft („wenn“) und insoweit eine partielle Doppelbesteuerung in Kauf zu nehmen scheint. Ansonsten reduziert sich der verbleibende Anwendungsbereich von § 50d Abs. 9 EStG 2002/2007 gegenüber Abs. 8 auf Abs. 9 Satz 1 Nr. 1, der im Streitfall aber ebenfalls – und unter den Beteiligten auch unstreitig – nicht einschlägig ist.

 

Im Ergebnis folgt der Senat damit der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung (z.B. Urbahns, Unternehmenssteuern und Bilanzen 2011, 420; M. Klein/Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 50d EStG Rz 110, 124; Nieland in Lademann, EStG, § 50d Rz 411; Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rz 142; Frotscher, EStG, § 50d Rz 190; anders Grotherr in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 23A, Art. 23B Rz 75/9). Der entgegenstehenden – die Frage des Anwendungsvorrangs von § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 aber möglicherweise nicht erkennenden – Verwaltungspraxis (vgl. Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 12. November 2008, BStBl I 2008, 988; Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom 8. Juni 2011, Deutsches Steuerrecht 2011, 1714, beide zum in Deutschland ansässigen Flugpersonal irischer Fluggesellschaften) ist nicht beizupflichten.

 

5. Es bedarf angesichts dessen keiner weiteren Überlegungen dazu, ob die Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ebenso wie jene des § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 gegen das in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verankerte Rechtsstaatsgebot verstoßen, weil sie als sog. treaty override völker- und verfassungsrechtswidrig sein könnten (s. z.B. Senatsbeschluss vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156, m.w.N.).

 

6. Die von der Vorinstanz vertretene Rechtsauffassung weicht im Ergebnis von jener des erkennenden Senats ab. Ihr Urteil war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Steuerbescheid ist antragsgemäß zu ändern; die in Rede stehenden – als solche unstreitigen – Einkünfte in Höhe von … € sind im Ergebnis und im Einklang mit dem DBA-Irland antragsgemäß steuerfrei zu belassen, jedoch dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen. Die Ermittlung und Berechnung des festzusetzenden Betrages wird dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung überlassen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

 

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